Stille Kämpfe, laute Gedanken #5: Die Narben, die wir tragen

 „Die Narben hier auf der Haut, die gehen nie wieder weg.“ So heißt es ungefähr in einem Song vom King a.ka. Kool Savas. Und er hat recht: Jeder Mensch hat Narben. Sie sind Zeichen des Lebens, Spuren, die uns prägen. Oft verbinden wir sie mit etwas Negativem. Doch sind sie nicht auch Beweise dafür, dass wir etwas überstanden haben, dass wir vielleicht sogar stärker daraus hervorgegangen sind?

Für mich sind Narben mehr als unsichtbare Zeichen. Sie sind auf meiner Haut, in jedem Blick auf meine Arme. Früher waren meine Narben unsichtbar, verborgen in den Tiefen meiner Gedanken. Damals waren es die Narben des Überessens und des Erbrechens, die still und leise an mir nagten. Doch irgendwann reichte das nicht mehr aus. Und die Narben wurden sichtbar. Sie wurden mehr. Sie wurden tiefer. Und sie wurden unkontrollierbar. Mit jeder neuen Narbe wuchs aber auch der Scham.

"Warum gehst du nicht ins Wasser? Der See ist doch so schön!" "Ist dir nicht warm? Es sind mehr als 30 Grad, zieh doch mal was Kurzes an!" Solche Fragen höre ich oft. Jedes Mal suche ich nach einer Ausrede. Vor allem bei Menschen, die nichts von meinem inneren Kampf ahnen. Und selbst die Menschen, die ein bisschen davon wissen, möchte ich nicht in eine unangenehme Situation bringen. Denn Narben, egal ob sichtbar oder unsichtbar, können sehr belastend sein. Und sie verletzen, nicht nur Einen selbst, sondern auch die, die einen lieben.

Manchmal denke ich an Menschen, die ihre Narben tief in sich tragen, gezeichnet von Traumata, vielleicht durch drogensüchtige Eltern, schwere Verluste oder andere Schicksalsschläge. Ihre Narben sind oft viel schwerer zu ertragen als die sichtbaren, die man ja schnell klebe, nähen oder tackern kann. Und mit einem Verband sie dann erst einmal wieder weg. Aber will ich nicht vergleichen. Für jeden Menschen sind die eigenen Narben und Geschichten schlimm genug – Vergleiche helfen da nicht, sie sind nicht angebracht.

Wenn ich auf meine Arme schaue, könnte ich sagen: "Schau, über tausend Mal habe ich mich aufgekratzt oder geschnitten." Nicht jedes Mal war es gleich so tief. Aber selbst die oberflächlichsten Mini-Kratzer sind am Ende ein Zeichen der Selbstverletzung, für Momente, in denen ich keinen anderen Ausweg wusste. Also habe ich mehr als tausend Mal „versagt“, habe es nicht geschafft, Wut, Trauer oder diesen Emotionswirrwarr auf gesunde Weise zu kontrollieren. Durch Skills, wie man ja eigentlich immer wieder lernt.

Doch vielleicht könnte ich es auch anders sehen. Vielleicht könnte ich sagen: "Schau, das sind meine Arme. Das bin ich – verletzlich, alles andere als perfekt. Aber ich bin noch hier. Und ich kämpfe, selbst wenn immer wieder ein neuer Verband dazu kommt." Ich schreibe das jetzt so herunter, aber ob ich es wirklich glaube? Das weiß ich nicht.

Aber vielleicht schaffe ich es ja doch eines Tages, meine Arme zu zeigen, ohne mich dafür zu schämen. Vielleicht kann ich irgendwann mit mir selbst im Reinen sein. Ich wünsche es mir so sehr. Schließlich habe ich so viele coole (meiner Meinung nach cool) T-Shirts, die darauf warten, endlich wieder getragen zu werden.

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